Manipuliert vom Narzisst? Das Internet ist voll von Ratschlägen, wie sich eine solche Manipulation auflösen oder abwehren lässt. Aber wenn ich mich von einem Narzissten manipuliert fühle (im negativen Sinne), dann, finde ich, darf ich eines nicht vergessen: Auch mal bei mir hinzuschauen. Warum fühlt sich das für mich so an? Nur so kann ich nämlich die Opferrolle verlassen, die ich vielleicht eingenommen habe. Und dann bin ich auch in der Lage, etwas an meiner Situation zu verändern.
Wenn das Herz den Kopf schlägt: Hoffnung und Liebe können blind machen
Wenn ich etwas glaube oder etwas geglaubt habe, ohne es hinterfragt zu haben und am Ende dann heraus finde, dass es nicht wahr war, dann trage ich ohne Zweifel eine gehörige Mitverantwortung daran. Manchmal glaube ich es einfach. Dann bin ich blind vor Liebe.
Da kann der andere noch so perfide unterwegs gewesen sein. Ich habe ihm schließlich geglaubt, weil es sich in dem Moment richtig anfühlte. Vielleicht war ich auch begeistert vom Überzeugungseifer meines Gegenübers und wollte es einfach glauben – eben weil ich seine Überzeugung teilte. Weil sie vielleicht mit meinem eigenen Weltbild übereingestimmt hat oder ich mich damit wohlgefühlt habe.
Manipuliert vom Narzisst? Hat er mich ausgenutzt oder wusste er es nicht besser?
Und wer weiß – vielleicht wusste es mein Narzisst ja auch gar nicht besser und hat es mir deswegen erzählt. Vielleicht hat er das als Kind so gelernt. Und vielleicht wussten es die Eltern von meinem Narzissten genauso wenig. Ich dachte ja auch zuerst, dass das, was er mir erzählt hat, richtig sei. Also manipuliert ein Narzisst? Ist es wirklich Manipulation oder ist es das, was er selbst gelernt hat?
Funktion – Symptom – Lösung: Kinder kopieren ihre Eltern, ob Narzisst oder nicht
Jedes Symptom hat eine Funktion. Manchmal ist es sogar die Lösung. Und in mancherlei Kontext sogar nützlich.
Man weiß heute aus der Bindungsforschung, dass Kinder mit uns kooperieren wollen. Immer. Und dass es Gründe gibt, wenn sie es einmal nicht tun. Entweder ist das Kind überfordert (zum Beispiel, weil es an dem Tag schon so viel kooperiert hat). Oder es wurde in seiner Integrität verletzt, das heißt, seine eigene Grenze wurde nicht gewahrt.
Dann steigt das Kind aus der Kooperation aus. Sonst nicht. Es würde auch keinen Sinn machen für das Kind, denn es ist ja abhängig von uns.
Kinder arbeiten nicht gegen die Erwachsenen
Kinder tun immer etwas FÜR SICH, nicht gegen uns. Und wenn ein Kind 80 Euro bekommt, damit es sich impfen lässt, oder Scheiben abschleckt, um etwas zu bekommen: Sollte ich mich dann nicht erst einmal fragen, warum das Kind zu solchen „Maßnahmen“ greifen muss? Wie sieht die Beziehung zum Kind aus, dass es sich nur so zu helfen weiß?
Und wie sieht die Beziehung von mir zu meinem eigenen inneren Kind aus? Weiß ich was ich brauche? Was mir gut tut? Weiß ich, warum ich manchmal tue, was ich tue?
Das Gleiche gilt für Narzissten. Denn auch am Grunde einer narzisstischen Störung findet sich oft einfach ein verletztes Kind. Statt also beim Narzissten das Verhalten gleich zu bewerten, könnte ich ja auch mal hinterfragen, was es mit mir zu tun hat. Es könnte ja sein, dass der Mensch es tut, weil er es tut. Also für sich und nicht wegen mir. Und deshalb auch nicht gegen mich, auch wenn ich das so gern auf mich beziehen möchte und mir damit Schuhe anziehe, die mir gar nicht passen.
Manipulative Kinder? Oder Kinder, die versuchen, für sich zu sorgen?
Ich glaube nicht an manipulierende Kinder. Ich glaube an Kinder, die manchmal nicht anders können, weil sie nicht gesehen wurden. Und/oder weil sie von ihren Gefühlen überrollt werden. Ja, auch große Kinder, auch Erwachsene. Möglicherweise sind es Narzissten, vielleicht sind es aber auch einfach nur Menschen mit einem verletzten inneren Kind.
Und deshalb bin ich überzeugt davon, und zwar wirklich felsenfest überzeugt davon, dass KEIN Kind (Mensch) jemanden absichtlich manipuliert. Jedes Kind tut einfach nur das, was es tun muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Und ich kann ja auch NEIN sagen, oder?
Manipuliert vom Narzisst? Versuchen wir nicht alle, unsere Bedürfnisse zu erfüllen?
Ja, im Grunde genommen tun wir das doch alle irgendwie. Wir alle wollen geliebt werden und eine gute Beziehung mit uns selbst und anderen führen. Und vielleicht hatten wir einfach nur keine guten Vorbilder, die selber keine guten Vorbilder hatten. Das wäre doch möglich. Und wenn ich das jetzt erkenne, kann ich für eine Veränderung sorgen. Ich kann bei mir selbst beginnen – statt im Außen und beim Gegenüber. Ich kann mich fragen, welche meiner Bedürfnisse vielleicht dadurch erfüllt oder angesprochen wurden, dass ich von meinem Narzisst „manipuliert“ worden bin. Denn die Erkenntnis kommt von innen.
Für mein schlechtes Gewissen jedenfalls ist keiner verantwortlich, außer ich selbst. Wenn ich in mir wahrnehme, dass es sich schlecht anfühlt, dann darf ich bei mir nach dem WOZU fragen (Wozu ist das Gut? Welches Bedürfniss steht dahinter?). Und ich darf sogar anderen sagen, was ich fühle. Ich darf auch über meine Bedürfnisse sprechen. Selbst wenn ich das als Kind nicht gelernt habe oder es mir verboten wurde. Und wer weiß – vielleicht sagt mein Gegenüber JA, weil es sich für ihn gut anfühlt. Weil mein Gegenüber mich dabei unterstützen möchte, mir dieses Bedürfnis zu erfüllen.
Exkurs Manipulation:
Sustantivierung des Verbs manipulieren. Das Verb manipulieren geht auf das französische „manipuler“ – ´etwas mit der Hand behandeln, bearbeiten´zurück. Dieses ist gebildet aus dem (mittel)französischen „manipule“ – ´eine Handvoll; eigentlich so viele Kräuter, wie man auf einmal mit der Hand greifen kann´ Es ist aus dem lateinischen „manipulus“ – ´Handvoll, Bündel´entlehnt, einer Bildung zum lateinischzen „manus“ – ´Hand´und dem Verb „plere – ´füllen´
Autor: Daniel Brodersen – in Zusammenarbeit mit Julia Juchmes von frei-verwurzelt