Wenn Eltern ihren Kindern nicht zuhören, entsteht beim Kind das Gefühl, dass die eigenen Bedürfnisse nicht wichtig seien. Gleichzeitig entwickelt das Kind einen Mangel an Empathie. Das heißt, es resigniert innerlich und spiegelt die Eltern, indem es selbst nicht mehr zuhört, geschweige denn kooperiert. Dieser Artikel zeigt, welche „Fehler“ Eltern machen und erörtert die Konsequenzen, wenn Empathie fehlt.
Ein Fallbeispiel: Wie Mangel an Empathie entsteht
Manuel glaubt, sein Vater Heiko sei ein Narzisst. Manuel ist nun selber Vater eines siebenjährigen Sohnes namens Björn. Es kam immer mal wieder vor, dass Heiko beim Spielen mit seinem Enkel Björn (unbewusst) die Grenzen von diesem überschritt. Björn erzählte dann einfach nur zu seinem Vater davon.
Er sagte wortwörtlich: „Papa ich will nicht, dass Opa so mit mir umgeht“. Manuel fühlte sich dadurch beauftragt, seinen Vater zu begrenzen. Er fühlte sich schuldig. Gleichzeitig war er tief in seinem Innersten verletzt. Er wollte unbedingt verhindern, dass das narzisstische Verhalten des Vaters auf sein Kind abfärbt. Er glaubte, er müsse seinen Sohn beschützen. Er wollte ihm selbige Erfahrungen ersparen.
Mit seinem „Beschützen wollen“ wollte er einfach eine klare Grenze setzen, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass sein Vater Heiko nun beleidigt war und schmollte. Er fühlte sich in seiner Ehre verletzt und machte Manuel nun Vorwürfe. Er suggerierte ihm, verantwortlich zu sein für seine Gefühle. Manuel aber wollte nur seinem Sohn Björn helfen und für ihn die Grenze setzen. Dabei hatte Björn dies schon selbst getan, indem er sagte „Ich will das nicht!“.
Statt seinen Vater zu begrenzen, hätte Manuel seinem Sohn einerseits Gehör schenken können, um eine Verbindung aufzubauen. Andererseits dann aber auch später dazu ermutigen können, dem Großvater selbst zu sagen, dass er nicht will, wie er mit ihm umgeht. Mit seinem Eingriff (und ja, er meinte es wirklich nur gut) hat er sich nun zwei Baustellen geschaffen. Einen Großvater, der beleidigt ist und ein Kind, was kommuniziert hat, ohne dass es Gehör fand bzw. akzeptiert wurde.
Eltern aufgepasst: Kinder brauchen liebevolle Begleiter
Viele Eltern wissen gar nicht, welch wichtige Informationen Kinder ihnen durch ihre Art zu kommunizieren zukommen lassen. Verbal und auch nonverbal. Statt aktiv auf ihr Kind einzugehen, es zu begleiten, zu unterstützen oder zu befragen, interpretieren viele Eltern die Botschaften ihres Kindes als Appell, sofort zu handeln, statt sich einfach mal Zeit zu nehmen für ein Eltern-Kind-Gespräch. Sie mischen sich in die Belange ihres Kindes ein, ohne dass es sein Einverständnis gegeben hat.
Sie glauben gar nicht, wie viele Missverständnisse oder Konflikte vermieden werden könnten, wenn Eltern sich einfach nur mal die Zeit nehmen und die Mühe machen, ihrem Kinde aktiv zuzuhören, statt sofort loszupreschen, frei nach Schnauze und voller Ideen, um das Kind womöglich vor etwas zu bewahren bzw. zu beschützen, aber auch, um die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.
Viele Eltern glauben, sie müssten die Probleme ihrer Kinder lösen. Selbst, wenn die Kinder einfach nur reden wollen, um zu reden. Vielleicht auch nur, um in Kontakt zu kommen, um gesehen zu werden, wie es ist.
Wer seinem Kind aktiv zuhört und beobachtet, vermeidet den Mangel an Empathie
Kinder teilen uns oft ihre Empfindungen mit. Durch kleine Gesten oder eben durch Aussagen wie „Ich will das nicht!“, welche als Rebellion verstanden werden oder als Auftrag interpretiert wird, sofort zu handeln. Gleichzeitig beziehen viele Eltern die Grenzsetzung ihres Kindes auf sich, fühlen sich schuldig und kommen zu der Ansicht, dass sie ihr Kind retten müssen.
„Ich will das nicht!“ ist eine Grenzsetzung. Statt die ausgesprochene Grenze zu respektieren, fangen viele Eltern an zu beschwichtigen, zu ermahnen, zu belehren oder zu erklären. Manchmal sind die Erwachsenen auch beleidigt. Denn sie wollen ja nur das Beste. Sie wollen ihrem Kind erklären, warum etwas ist, wie es ist (wohlgemerkt aus ihrer Sicht), statt einfach nur akzeptieren, dass das Kind gerade nicht will, wie man mit ihm umgeht, was ihm widerfährt, was es soll oder was es gezwungenermaßen aushält.
Das Kind braucht aber keinen Erklärbär, sondern eher einen Teddybär, der einfach nur da sitzt und zuhört, ohne gleich eine Lösung zu haben. Die Lösung ergibt sich oft von selbst. Sie entsteht im Kind. Sie will vom Kind entdeckt werden und nicht von Außen vorgegeben werden.
Irgendwann zeigt das Kind eine ganz andere Reaktion, z.B. Aggression oder Depression und die Eltern fragen sich, was sie falsch gemacht haben. Die Eltern fragen sich, warum das Kind narzisstisch auftritt und einen Mangel an Empathie zeigt.
Kinder brauchen Eltern, die da sind und zuhören
Kinder brauchen keine Rasenmäher oder Helikopter und auch keine Löwen als Eltern, sondern eine Konstante, die einfach nur da ist, begleitet, führt und umsorgt. Kinder brauchen die Sicherheit, dass sie so in Ordnung sind, wie sie sind.
Sie brauchen die Gewissheit, dass sie reden können über alles, was sie bewegt und das Gefühl, dass da jemand ist, der einen einerseits akzeptieren kann, wie er ist, andererseits aber auch Verständnis dafür signalisiert, dass es gerade so empfindet. Kinder brauchen Empathie, sonst lernen sie es nicht, emphatisch zu sein und entwickeln selber einen Mangel an Empathie.
Der große Mangel an Empathie – eine logische Folge von Überforderung
Wenn wir als Eltern überfordert sind, können wir unseren Kindern nicht gut zuhören. Anstatt unserem Kind ehrlich mitzuteilen, dass man gerade etwas Zeit für sich braucht und einen festen Zeitpunkt vereinbart, an dem miteinander gesprochen wird, schicken viele Eltern ihr Kind zum Spielen, ohne später nochmal darauf einzugehen. Oder sie hören nur hin und beschließen, das Problem zu lösen, anstelle mit dem Kind in Kontakt zu gehen.
Ein Kind aber möchte selbst handeln dürfen. Es möchte sagen dürfen, was es möchte oder auch nicht möchte, ohne dass sich die Eltern gleich einmischen und womöglich einen weiteren Schauplatz schaffen, an dem ein Konflikt stattfindet, der hätte gar nicht erst entstehen müssen, wenn dem Kind einfach nur zugehört worden wäre.
Björn wollte nicht, dass sein Vater sich einmischt. Er wollte Empathie.
Zuhören statt Handeln: So verhindert man Konflikte
Durch den zweiten Konfliktschauplatz wird dem Kind nämlich auch gleichzeitig zu verstehen geben, dass es nicht so empfinden darf, weil andere sich deswegen jetzt zoffen. Im Beispiel zoffen sich nun Manuel und Heiko. Das Kind (Björn) denkt sich einfach nur:
Hätte ich doch bloß meinen Mund gehalten. Hätte ich mich doch bloß nicht gegenüber Papa geäußert. Meine Empfindungen sind falsch. Meine Empfindungen machen andere unglücklich. Meine Empfindungen sorgen dafür, dass sich andere meinetwegen zoffen. Ich will doch nicht, dass Opa traurig ist. Ich will doch nur, dass er anders mit mir umgeht. Jetzt bin ich schuld, dass die anderen streiten!
Auf diese Weise entsteht übrigens magisches Denken. So entstehen Glaubenssätze. So lernt das Kind toxische Muster, welche das Kind in toxische Beziehungen führt.
Also nochmal: Bitte nur zuhören, Mama oder Papa – nichts machen. Nur für mich da sein. Ich will sagen dürfen, dass ich etwas nicht will, ohne dass du gleich versuchst, mich zu retten. Erlaube mir doch einfach mal, etwas nicht zu wollen.
Vorteile von aktivem Zuhören:
- Aktives Zuhören hilft den Kindern, sich vor negativen Empfindungen weniger zu fürchten: „Ich darf sagen, dass ich was nicht will!“
- Aktives Zuhören fördert – gleichsam als „Nebenprodukt“ – eine herzliche Beziehungen zwischen Elternteil und Kind: „Ich finde es toll, dass du dich für meine Empfindungen interessierst- ich rede gerne mit dir!“
- Aktives Zuhören ermöglicht das Problemlösen durch das Kind: „Allein schon, wenn ich dir erzählen darf, wie es in mir aussieht, hilft es mir dabei eine Lösung zu finden!“
- Aktives Zuhören beeinflusst das Kind, den Gedanken und Ideen der Eltern mit größerer Bereitwilligkeit zuzuhören: Wenn Eltern sich darüber beklagen, dass ihre Kinder nicht auf sie hören, kann man wetten, dass die Eltern ihren Kindern selber nicht zuhören.
- Aktives Zuhören überlässt dem Kind den Ball und verhindert Helikoptereltern, Rasenmähereltern und Löweneltern. Es fördert aber die innige Beziehung zwischen zwei Menschen. In diesem Falle Elternteil und Kind.
Mangel an Empathie – Fazit
Narzisstisches Verhalten, toxische Beziehungen und Konflikte lassen sich oft vermeiden, wenn man besser zuhört. Wem die Bedürfnisse seines Kindes wichtig sind, der hört künftig besser zu. So wird der scheinbar große Mangel an Empathie verkleinert.
© Daniel Brodersen