Hypervigilanz: Innerlich getrieben und stetig in Habachtstellung

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Hypervigilanz ist ein Begriff aus der Psychologie. Er bedeutet erhöhte Wachsamkeit oder Wachheit. Menschen, die hypervigilant sind, haben ein traumatisiertes Nervensystem. Sie reagieren bereits bei kleinsten „Triggern“ sehr extrem.

Die Hypervigilanz, auch Übererregung genannt, trifft häufig in Folge von traumatischen Belastungen auf. Sie gilt als Leitsymptom der posttraumatischen Belastungsstörung und tritt ebenso häufig bei einer Zwangsstörung, bei ADHS oder bei der Borderlinestörung auf. Insbesondere Menschen, die in gestörten Familiensystemen aufwuchsen, deren Eltern narzisstisch oder selbst traumatisiert waren, entwickeln u.a. Co-abhängiges Verhalten, bei dem Hypervigilanz ebenso ein Hauptmerkmale ist.

Hypervigilanz wird häufig mit Hochsensibilität gleichgestellt. Es gibt jedoch Unterschiede. Während Hochsensibilität ein Persönlichkeitsmerkmal ist oder eine neurologische Besonderheit des Gehirns darstellt ist Hypervigilanz etwas Krankhaftes. Häufig tritt Hochsensibilität jedoch gemeinsam mit Hypervigilanz auf. 

Hypervigilanz, ein abstraktes Gefühl

Hypervigilanz, ein abstraktes Gefühl, ein Wirrwarr

Was ist Hypervigilanz genau?

Mit diesem Begriff aus der Psychologie wird eine Überregung beschrieben. Hypervigilanz ist eine gesteigerte Wachsamkeit. Das erhöhte Hyperarousel äußert sich häufig durch erhöhte Schreckhaftigkeit, innere Unruhe und ständige Aufmerksamkeit. Du kennst das auch als Eggshellwalking, Hochsensibilität oder auf Eierschalen laufen.

Üblicherweise tritt Hypervigilanz in Verbindung mit verschiedenen psychischen Störungen auf, darunter:

  • Trauma und Entwicklungstrauma, einschließlich (komplexer) Posttraumatischer Belastungsstörung
  • Angststörungen, insbesondere Generalisierte Angststörung
  • Depressionen
  • Zwangsstörungen
  • Autismus
  • ADHS
  • Persönlichkeitsstörungen wie Borderline, Paranoia oder Narzissmus

Es kann auch während manischer Episoden, Psychosen oder bei Schizophrenie auftreten. Allerdings kommt dies deutlich seltener vor.

Der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther bezeichnete die Hypervigilanz auch als stressbedingte Veränderungen der Persönlichkeit nach Mobbing oder Missbrauch.

Hypervigilanz gilt als Leitsymptom der Posttraumatischen Belastungsstörung

Leider wird Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit) in der Schulmedizin oft übersehen und gleichgestellt mit einer Dependenten, einer Selbstunsicheren oder Paranoiden Persönlichkeitsstörung. Manchmal wird sogar fälschlicherweise eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vermutet. Doch in der Regel sind Menschen mit diesen Symptomen das Opfer narzisstischer Eltern.

Betroffene übernehmen Verhaltensmuster

Menschen, die emotional missbraucht wurden, neigen dazu, Verhaltensmuster ihrer Missbraucher zu kopieren (wenn es die Eltern waren). D.h., auch sie missbrauchen andere. Oftmals allerdings ohne es zu merken und vor allem auch ohne es zu wollen. Gleichzeitig entwickeln sie aber auch Ängste vor einer Wiederholung. Sie machen sich unbewusst abhängig von den Launen des Agressors.

Hypervigilanz nach narzisstischem Missbrauch

Kinder narzisstischer Eltern übernehmen eine besondere Rolle, wenn es um Hypervigilanz geht. Narzisstische Eltern sind unberechenbar und potenziell gefährlich. Ihre Stimmungen können sich jederzeit abrupt ändern, was für die Kinder eine extreme Gefahr darstellen kann. Um sich vor dieser nahezu willkürlichen Gefahr zu schützen, entwickeln diese Kinder frühzeitig hypervigilantes Verhalten.

Sie richten ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihre Umgebung, um selbst geringste Veränderungen im Verhalten ihrer Eltern wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren – sei es durch Flucht oder Beschwichtigung. Das bedeutet konkret, dass diese Kinder ständig darauf achten, wie ihre narzisstischen Eltern atmen, sich bewegen, sprechen und vieles mehr. Auf diese Weise werden sie äußerst geschickt darin, das Verhalten ihrer Eltern vorherzusehen, um sich selbst bestmöglich zu schützen.

Der Drang zur Analyse beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Zuhause. Dieses Verhalten generalisiert sich und zeigt sich in allen Beziehungen und Umgebungen der Kinder.

Das traumatisierte Nervensystem

Ein traumatisiertes Nervensystem kann sich auf verschiedene Arten äußern, da Traumata eine komplexe und vielschichtige Auswirkung auf den Körper haben können. So treten neben der angesprochenen Hypervigilanz folgende Symptome auf:

    1. Flashbacks und Intrusionen: Das traumatische Ereignis kann in Form von Flashbacks oder unkontrollierbaren Gedanken und Bildern wieder auftauchen, die das Individuum in die traumatische Situation zurückversetzen.
    2. Vermeidungsverhalten: Um die mit dem Trauma verbundenen unangenehmen Gefühle und Erinnerungen zu vermeiden, können Betroffene bestimmte Orte, Personen oder Aktivitäten meiden, die sie an das traumatische Ereignis erinnern könnten.
    3. Dissoziation: In manchen Fällen kann das Nervensystem dissoziative Zustände auslösen, bei denen das Individuum sich von seinem eigenen Körper oder von der Realität abgespalten fühlt, um sich vor der emotionalen Überlastung des Traumas zu schützen.
    4. Emotionale Dysregulation: Schwierigkeiten, Emotionen zu regulieren, können auftreten, was sich in starken Stimmungsschwankungen, emotionaler Taubheit oder übermäßiger Emotionalität manifestieren kann.
    5. Körperliche Symptome: Traumata können auch zu körperlichen Beschwerden führen, wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannungen oder Herzrasen. Diese Beschwerden können auf die Dysregulation des Nervensystems zurückzuführen sein.

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Ein traumatisierter Mensch ist häufig müde und erschöpft

Ein Symptom macht noch keine Störung

Was im Internet meist nicht erwähnt, aber sowohl in der ICD steht, als auch auf klassischen Therapieschulen gelehrt wird: Ein Symptom macht noch keine Störung aus. D.h. die Hypervigilanz alleine ist keine psychische Störung, sondern lediglich eine psychische Auffälligkeit.

Symptome der Hypervigilanz können folgende sein:

  • Denkmuster und Glaubenssätze bestimmen das Wahrnehmen: Ich sehe, was ich denke
  • Verlust der Besonnenheit
  • Verallgemeinerungen, Pauschalisierungen
  • Vorurteile und fixierte Bilder von sich, von den Feinden und von der Situation
  • Dichotomes Denken (Selbstbild Engel – Feindbild Teufel)
  • Zuschreibungen, Verdächtigungen
  • Kurzschlüsse, willkürliche Schlussfolgerungen
  • Missverständnisse durch Fehlinterpretationen des Verhaltens anderer
  • Das eigene Denken wird verabsolutiert (So wie ich es sehe, ist es richtig!!!)
  • Bedrohungserlebnis: Angst als Basisemotion, Erleben von Ohnmacht
  • Empfindlichkeit, Hochsensibilität, Unsicherheit, Misstrauen, Desensiblisierung, Schutzpanzer der Unempfindlichkeit (emotionale Kälte)
  • Abspaltung von Gefühlsbereichen wie Empathie (erschwerend kommen Wutausbrüche hinzu)
  • Verlust der Empathiefähigkeit
  • Abkapseln der Gefühle im eigenen Inneren
  • Sozialer Autismus
  • Instinktive Willenssteuerung durch den Überlebenskampf
  • Absolute Ego-Zentrierung: Ich will…!!!
  • Sturheit, Versteifung des Willens
  • Zwanghaftigkeit
  • Radikalisierung und Fanatismus
  • Regression: Pubertät, Kleinkind, nichtmenschliche Triebe
  • Ziele werden mit den Mitteln zur Zielerreichung eng verknüpft
  • Reiz-Reaktionspausen: keine Besinnungspausen
  • Angriffe, Forderungen, Vorwürfe
  • Stereotype Verhaltensweisen und typische Rollen
  • Verknüpfte Verhaltensmuster (Verstrickungen)
  • Frühkindliche Bewältigungsstrategien steuern das Verhalten (Schreien, Erkranken, verkrampftes Bemühen, Kontaktabbruch, Verstummen)

Abgerundet wird das Bild mit psychosomatischen Begleiterscheinungen wie Herzrasen, Hitzewallung, Zittern oder Beklemmung in der Brust sowie Druckgefühl im Solarplexus. Schlimmstenfalls erleiden Menschen dann häufig Panikattacken oder Panikstörungen.

Ausblick auf die ICD-11

In der neuen ICD-11 wird von komplexer Posttraumatischen Belastungsstörung gesprochen. Zudem fallen in der neuen ICD-11 die narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie zahlreiche andere Persönlichkeitsstörungen weg.

Man spricht dann von Strukturen und dysfunktionalen Bewältigungsmustern, die bei Persönlichkeitsstörungen generell auftreten. Noch besser ist jedoch der Begriff Morbus Kummer.

© Daniel Brodersen

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