Zahlreiche Medien schreiben von der Faszination Narzissmus. Die Wissenschaft belegt es. Und kaum einer erkennt es an. Kaum einer will es wahrhaben. Gesehen wird es oft im anderen – im Gegenüber, im Partner – selten bei sich selbst. Projektion, Schuldumkehr. Ich bin der Größte und DU nicht. Man selbst hält sich nur allzu gerne für einen GUTEN MENSCHEN. Und meistens ist man das auch.
Der Narzissmus trägt viele Masken: Heiligkeit, Pflichtbewusstheit, Freundlichkeit und Liebe, Bescheidenheit und Stolz. Er reicht damit von der Haltung eines hochmütigen und arroganten Menschen bis zu der einer bescheidenen und unaufdringlichen Person.
© Erich Fromm, Die Antwort der Liebe
In jedem schlummert die Faszination für Narzissmus
Jeder Mensch trägt die Fähigkeit zum Guten wie auch zum Bösen in sich. Und gerade das Böse fasziniert uns. Wir alle haben ein gewisses Grundmaß an Empfindungen dafür, was gut und was böse ist. Negativ besetzte Worte werden dreimal so viel gegoogelt wie Positives. Allein zum Thema Narzissmus gibt es mehr als 100.000 Beiträge auf Google zu finden. Woran das wohl liegt?
Ist Narzissmus etwas Böses?
Aggression, Missbrauch, Neid, Hass, Gier und auch das scheinbare Lieblingsthema Narzissmus (in dem Falle selten der eigene Narzissmus, sondern vielmehr der Narzissmus der anderen) wird generell als negativ bewertet. Dabei ist Narzissmus per se nichts Schlechtes – im Gegenteil.
Positive Bezeichnungen für Narzissmus
Begriffe wie Empathie, Kooperation, Altruismus und Nächstenliebe dagegen sind positiv Bezeichnungen. Wenn wir in unseren Beratungen danach fragen, wird uns mit Entsetzen erzählt, dass beinahe jeden Tag zahlreiche Artikel zum Thema Narzissmus und ebenso viele Videos dazu verschlungen werden. Zeit zum durchatmen wird sich kaum genommen. Der Narzisst saugt ganz viel Energie.
Die Faszination für Narzissmus hält jedoch auch energetisch unten, also in der Opferrolle und verleitet ebenso dazu, selbst zum Täter zu werden, sich selbst gegenüber, denn das innere, verwundete Kind wird nach wie vor nicht beachtet.
Stattdessen wird es gequält mit Informationen, die absolut nicht kindgerecht sind und mit Liebe oder Selbstliebe NICHTS zu tun haben. Die Ohnmacht ist mächtig. Das Böse in uns scheint uns fest in der Hand zu haben. Der Narzisst scheint uns zu besetzen.
Definition von Begriffen in Kombination mit Narzissmus
Schauen wir uns folgende die bereits erwähnten Begriffe im Zusammenhang mit Narzissmus an:
- Empathie: Ein Narzisst erkennt, wann es dem Gegenüber schlecht geht oder was er denkt. Er ist kognitiv empathisch. Allerdings kann er dafür keinerlei Mitgefühl aufbringen. Er hat seine Gefühle eingesperrt.
- Kooperation: Eine Zusammenarbeit mit Narzissten ist eher schwierig. Sie haben ihren eigenen Kopf. Die Augenhöhe zu behalten fällt ihnen schwer. Entweder fühlen sie sich entwertet und erhöhen sich oder sie delegieren an andere nur niedere Tätigkeiten.
- Altruismus: Der Narzisst tut alles aus reinem Egoismus. Die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sind ihm am Wichtigsten. Er hilft anderen höchstens um sich selbst zu helfen.
- Nächstenliebe: Der Narzisst handelt unter dem Deckmantel der Nächstenliebe, getreu dem Motto „Ich mein es nur gut“ und du musst es mir danken. Er erwartet dafür IMMER eine Gegenleistung.
Die Faszination Narzissmus: Wenn aus Verliebtheit eine toxische Verbindung wird
Obwohl wir das Böse im Außen dagegen meiden und gerade gegenüber Narzissten zum Kampf aufrufen, betrachten wir es mit voller Faszination den Narzissmus.
Anfangs gehen wir mit Narzissten Beziehungen ein, verlieben uns und bauen Luftschlösser. Nur allzu gern lassen wir uns von einem Narzissten faszinieren und mit seinem Charme um den Finger wickeln. Der Narzisst hat eine merkwürdige Anziehungskraft.
Genauso verhält es sich mit anderen Toxinen und Gefahren.
Die Wissenschaft weiß auch warum: Das Gehirn wird durch Bedrohung aktiviert. Denn seit es Menschen gibt, müssen Menschen auch mit dem Risiko leben, dass ihnen von ihresgleichen ein Unheil droht.
Die Bibel als Vergleich zum Narzissmus?
In der Bibel war es die Schlange, die Eva verführte den Apfel zu essen. Eva aß die verdorbene Frucht. Kann man das auch auf das HIER, jetzt und heute umdeuten? Man könnte, aber vermutlich wäre das weit hergeholt, denn der Mensch hat sich entwickelt.
Die Spaltung zwischen Fiktion und Realität – Narzissmus fasziniert
An sich scheuen wir das Risiko. Und keiner will an einen Narzissten geraten. Zeitgleich aber genießen wir die Angstlust und den Nervenkitzel, etwa wenn wir einen Thriller lesen, einen Horrorfilm sehen oder uns ein Aufklärungsvideo über Narzissmus anschauen.
Haben wir dann Mitleid? Manchmal ja, manchmal sind wir zu sehr in den Bann gezogen und unser Verstand setzt kurzzeitig aus. Die Spannung fesselt uns. Wie geht es wohl weiter?
Auch Dokumentationen wie
- Anwälte der Toten,
- Medical Detectives oder
- Autopsie
erfreuen sich immer noch großer Beliebtheit. Wir beschäftigen uns häufig mit dem Bösen im Außen, statt mit unseren eigenen Dämonen. Wenn woanders was SCHLIMMES passiert, erfreut uns das und wir danken für die Ablenkung.
Faszination Narzissmus: Wenn das Böse zur Magie wird und die Massen lachen
Das Böse fasziniert uns und erst bei Gefahr wird unser Hirn aktiviert. Wir ziehen das BÖSE also magisch an. Wir ziehen es an, weil es ein Teil von uns ist. Anfangs erkennen wir es nicht. Anfangs ist es ein Teil von uns. Und erst wenn es um das eigene Wohl geht, kämpfen wir dagegen an. Vorher nicht. Und was ist, wenn unser Gegenüber in Gefahr gerät? Dann sind wir wieder fasziniert. Oder etwa nicht?
Kennen Sie die Fernsehsendung „Verstehen Sie Spaß“? Und finden Sie das lustig? Lachen sie darüber?
Ja?
Dann finden sie es also auch gut, wenn andere Menschen Opfer von Gaslighting werden. Denn nichts anderes ist das.
Sind sie immer noch fasziniert?
Autor: Daniel Brodersen