Ich schließe meine Augen, bin entspannt und lächele. Und ich sehe´die Sonne und den wolkenlosen Himmel. Ich blinzele und sehe einen Garten. Ich sehe Bäume, Blumen, Sträucher und Kinder. Und ich sehe mich. Ich bin eines dieser Kinder. Und ich bin glücklich. Ich bin noch entspannter. Ich sitz auf einer Schaukel. Britta schubst mich an. Eine glückliche Kindheit in meiner Imagination.
Sie ist meine Freundin. Ich bin 5 Jahre alt. Sie ist ein Jahr älter. Und ich liebe sie. Ich bemerke gar nicht, dass sie dicker ist als andere Mädchen. Dass sie dick ist, erfahre ich von ihrer Mutter. Für mich ist Britta aber trotzdem meine Freundin, das Mädchen mit der ich meine Zeit am allerliebsten verbringe, mit der ich Trampolin springe. Ich liebe sie. Und ich liebe mich. Ich liebe mich dafür, diesen Moment genießen zu können. Bewertungsfrei. Widerstandslos. Nicht in Gedanken. Glücklich. Ich bin mittendrin und voll dabei. Und an meiner Seite ist eine Fee.
Und dann öffne ich meine Augen. Aber ich bin immer noch glücklich. Ich bin glücklich, weil ich daran gedacht habe, wie schön es war ein Kind zu sein. Und es ging sooo leicht. Mir ist bewusst, ich kann jeden Tag zurück kehren. Alles was ich dafür tun muss, ist daran zu denken, an eine glückliche Kindheit
Hätte ich gewusst, dass dieser Moment für Glück steht, hätte ich die Zeit angehalten und alles dafür getan, dass die Welt stehen bleibt.
Mit 5 hatte ich schon eine Menge erlebt. Meine Eltern ließen sich scheiden. Wir sind umgezogen. Ich ließ mein geliebtes Umfeld zurück. Meine Schwester kam zur Welt. Und ich wurde das erste Mal mit der Realität der Erwachsenenwelt konfrontiert. Ich wurde gezwungen zu lernen und mich anzupassen und das tat ich anfangs auch. Ich passte mich an und nahm die Schuld auf mich und übernahm Verantwortung für Dinge, die ich nicht verstand.
Und ich glaubte den Erwachsenen, die es wissen mussten. Ich vertraute den Menschen, die für mich ein Vorbild waren. Nie hätte ich im Leben daran gedacht, dass die falsch lägen und stattdessen suchte ich den Fehler stets bei mir selbst, bei mir dem kleinen, unreifen Mann.
Was hätte Peter Pan mir in diesem Moment eigentlich geraten? Was hätte die kleine Fee gesagt?
Zum Glück hatte ich damals schon eine blühende Phantasie und konnte mich in Traumwelten flüchten, wenn es mir zu anstrengend wurde. Und anstrengend wurde es immer dann, wenn ich unvorbereitet in eine Situation/Rolle rein gedrängt wurde, die ich mir so nicht ausgesucht hatte. Später dann in der Schule wurde mir meine Phantasie in Deutschaufsätzen manchmal zum Verhängnis. Mir wurde eingebläut Vernunft anzunehmen und bei der Realität zu bleiben. Wenn ich mich jetzt zurück erinnere, dann frage ich mich, ganz klar… welche Realität meinen die? Ihre Realität? Ist es die Realität in der alles einen Namen hat, also eine Bewertung? Und wenn ja, warum ist das so? Irgendwer sagte mir mal, alles habe seinen Sinn. Und wenn etwas Sinn macht, dann hat alles seine Ordnung. Ja Ordnung ist das halbe Leben. Ordnung ist so was wie Struktur.
Und Struktur steht für einen gewissen Rahmen. Und dann gibt es Rahmenbedingungen, Regeln und auch Lücken. Ist das der Preis dafür um eine gewisse Sicherheit zu haben? Ein Rahmen bietet Sicherheit und ich frage HIER UND JETZT für wen? Für die, die nicht sicher sind? Aber ich war doch als Kind sicher. Ich war glücklich und hatte Freunde und konnte die Dinge so sehen, wie sie sind. Diesen Rahmen brauchte nicht für eine glückliche Kindheit. Ich hab mir den nicht ausgesucht. Er wurde mir einfach so, ohne dass ich das wollte, übergestülpt.
Was ist richtig, was ist falsch?
Und dann die ganzen Bewertungen. Mir wurde gesagt, was richtig oder falsch ist, um zu lernen, zu unterscheiden, zwischen den Dingen die wichtig oder unwichtig sind. Wichtig war es Leistung zu bringen und sich mit den Richtigen Leuten zu umgeben. In meinem Fall suchte mir meine Mutter meine Freunde aus. Die, die ich als Freunde empfand, waren meiner Mutter nicht gut genug. Und die, die meine Mutter mir als Freunde suchte, taten mir manchmal nicht gut. Aber hey, ich vertraute darauf, dass alles irgendwie seine Richtigkeit haben müsse.
Ich vertraute meiner Mutter blind. Ich dachte ja auch, dass sie mich liebt, und zwar so wie ich bin. Und wieder passte ich mich an. Denn ich wollte Mama glücklich und stolz machen. Ich wollte ihre Anerkennung und Liebe auf keinen Fall verlieren. Und jeden aufkommenden Zweifel nahm ich mir zu Herzen. Nein eine Mutter irrt sich nicht. Sie irrt sich selbst dann nicht, wenn es bewiesen ist.
Und jetzt schließe ich wieder die Augen. Ich atme tief durch und werde entspannt. Dann sehe ich immer noch die vielen Kinder im Garten und die Sonne, die scheint. Ich sehe den wolkenlosen Himmel. Ich sehe Britta und mich. Und frag mich…
Was ist nur aus uns geworden?
Angepasste Menschen. Bewertende Menschen. Einsame Menschen. Narzisstische Menschen, die sich im Grunde nur schützen wollen (wovor?!?) und anderen damit weh tun. Auf der Suche nach dem Glück? Auf der Suche nach Liebe? Selbstliebe? Mit offen Mündern und fragendem Blick… gibt es einen Weg zurück?
Was sagt die Fee?
Ja… den gibt es….
Dafür aber müssen wir lernen uns selbst neu zu erfinden, am besten dort hin zurück gehen, wo alles begann und dann nochmal von vorne anfangen. Die Fee ist immer an unserer Seite. Wir sind sicher.
Ich bin sicher. Ich mach mir das bewusst.
Ich öffne meine Augen. Und weiß HIER UND JETZT: es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit. Nie ist es zu spät, all die Bewertungen zu vergessen. Es ist nie zu spät zu erkennen, dass wir einmal glücklich waren und es möglicherweise nur vergessen haben, wie es sich angefühlt hat.
© Daniel Brodersen