Wenn sich zwei verletzte Seelen kennen lernen, ineinander verlieben und schnell zusammenziehen oder gar sogar ein Kind in die Welt setzen, ähnelt das einem Aufeinanderprallen zweiter Weltbilder und Familienkulturen, die nicht unterschiedlicher sein können. Schnell ist bei größeren Konflikten vom großen Erwachen bzw. verdeckten Narzissmus die Rede. Statt sich gegenseitig zuzuhören, kämpfen viele Paare nur noch darum wer Recht hat oder wer Schuld hat, das der Streit mal wieder ausgeartet ist.
Der Schweizer Psychologe Jürg Willi bezeichnete das Aufeinander treffen zweier bedürftiger Menschen als „Narzisstische Kollusion„. (lateinisch collusio = geheimes Einverständnnis). Dabei missbrauchen beide Partner den jeweils anderen um die eigenen narzisstischen Bedürfnisse zu erfüllen. Der Narzisst sucht unbewusst eine Versorgerin, die Co-Narzisstin will gebraucht werden. Dass beide nur ihre Kindheit wiederholen wird von keinem der Partner erkannt. Eine explosiv traumatische Verbindung ist vorprogrammiert.
Das erste Aufeinandertreffen ist eine Kllusion
Zu einer Partnerschaft gehören immer zwei. Und jeder trägt für das, was er tut oder was er bereit ist zu erdulden, selbst die Verantwortung. Für Beziehungen, in denen die jeweiligen neurotischen Schwächen der Partner wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen, hat der eidgenössische Paartherapeut Jürg Willi den Begriff der „Kollusion“ geprägt. Aus Sicht der Wissenschaft ist es das moderne „Topf trifft Deckel Prinzip“ .
Da treffen sich zwei Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen mit dem Wunsch dass der andere einem diese erfüllt. Einerseits wird nach familärer Ähnlichkeit gesucht (ein altbekanntes Muster aus der Kindheit) , andererseits wird auch nach passender Ungleichheit Ausschau gehalten. Denn Gegensätze ziehen sich an und machen eine Beziehung häufig erst so richtig spannend.
Was ist eine narzisstische Kollusion?
In der „narzisstischen Kollusion“ treffen zwei verletzte und vermutlich auch traumatisierte Seelen und zur wechselseitigen Befriedigung ihrer Bedürfniswelten aufeinander. In der Traumafachwelt wird dazu der Begriff des Traumabonding diskutiert. Während der eine Part die Bewunderung, Verehrung und Bestätigung des anderen genießt, fühlt sich der andere Partner durch die demonstrierte Grandiosität und gegebenenfalls durch die materiellen Erfolge des Partners aufgewertet.
Der verdeckt agierende narzisstische Part hat dabei meist die gleichen seelischen Probleme, wie sein offenkundig narzisstisch agierende Partner (hohe Kränkbarkeit, Sehnsucht nach Akzeptanz, Liebe und Verständnis). Er wählt nur einen anderen Weg, um dieses Defizit zu kompensieren. Er identifiziert sich mit dem überlegenen Partner, um über die Zugehörigkeit zu einem Ideal eine Aufwertung der eigenen Person zu erfahren. Daher müssen der Glorienschein erhalten und Mängel ignoriert oder ausgeglichen werden.
Narzisst vs. Co-Narzisst: Wer ist Opfer, wer ist Täter?
Stelle dir mal eine romantische Beziehung zwischen zwei Personen vor: Alex und Sam. Alex ist ein extrovertierter, charismatischer Mensch mit starken narzisstischen Neigungen. Er genießt es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und bewundert zu werden. Ihm sind Erfolg, Macht und Reichtum extrem wichtig.
Sam hingegen ist ruhig und zurückhaltend, mit einem starken Bedürfnis danach, anderen zu gefallen und Konflikte zu vermeiden. Sam ist sich nicht zu schade dafür Extraaufgaben zu übernehmen, auch wenn diese ihr gar nicht zugeteilt wurden. Für ein bisschen Liebe und Anerkennung ist Sam bereit alles zu tun.
In dieser Beziehung findet in der Tat eine narzisstische Kollusion statt. Alex erwartet ständige Bewunderung und Bestätigung von Sam, die bereitwillig bereit ist, sie zu geben, um Alex‘ Zustimmung zu gewinnen und Konflikte mit ihm zu vermeiden.
Sam beginnt, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu vernachlässigen, um die Bedürfnisse von Alex zu erfüllen und die Beziehung aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise verstärken sich die narzisstischen Tendenzen von Alex, während Sam zunehmend abhängig und unterwürfig wird – jedoch ebenso erwartet, dass dies von Alex irgendwann gesehen und anerkannt wird. Ein Bilderbuchbeispiel für die narzisstische Kollusion.
Die Frage nach der Schuld ist kontraproduktiv
Das Internet ist voll von Ratgebern, Foren, YouTube Videos, TicToc Beiträgen und Coaches, die über Narzissmus aufklären. Und immer gibt es mindestens ein Opfer und einen Täter. Also jemand, der alles versucht hat, es dem sogenannten offenen Narzissten recht zu machen, ohne dabei auf sich selbst zu achten. Jetzt teilt dieser jemand im Internet offen gegenüber dem anderen aus, nur eben nicht direkt, sondern eher indirekt, also verdeckt.
Leider sind solche Beiträge oder Youtubevideos eher weniger hilfreich, was Selbstreflektion betrifft. Der Narzisst wird fast immer als böser Teil der Beziehung dargestellt, und ganz oft trifft es die Männer, die dann mit dieser Bezeichnung diagnostiziert werden. Die Frau sieht sich dagegen nach der Beziehung häufig als Opfer. Und das, obwohl sie während der Beziehung eigentlich als verdeckt operiende Narzisstin in Erscheinung trat, um in diesem Sprachjargon zu bleiben.
Die Frage danach wer jetzt schuld ist, ist kontraproduktiv, denn sie lenkt vom Wesentlichen ab. Und diese Frage verhindert weitere Fragen, deren Antwort möglicherweise eine Lösung darstellt.
- „Warum war ich so lange mit dem Narzissten zusammen?
- Warum habe ich mich manipulieren lassen?
- Ich hätte mich schon viel früher trennen können, aber ich konnte nicht. Warum?“
Vielleicht weil diese anfänglich so verlockende Verbindung nicht erwachsen war und sich die Verliebtheit so schön anfühlte. Vielleicht entwickelte sich statt einer Zusammengehörigkeit eher eine Hörigkeit bzw. Bedürftigkeit? Oder der unbewusste Wunsch immer hoch in den Himmel gelobt zu werden?
Können zwei Narzissten miteinander durch Zufall aufeinander getroffen sein?
Die Antwort ist Ja. Die narzisstische Kollusion ist jedoch kein Zufall, sondern dahinter steht das Arsch auf Eimer Prinzip. Zwei verletzte Seelen die sich treffen um einen geheimen Auftrag erfüllen. Sie sollen sich weiter entwickeln. Dafür sind Beziehungen da. Doch solange der eigene Narzissmus unbewusst ist und nur beim anderen vermutet wird, ist es nach wie vor ein Schauspiel zweier Seelen, wovon der verdeckte Part sich aufopfernd unterwirft.
Die verdeckte Narzisstin empfindet die zumeinst eigennützige und selbstsüchtige Behandlung ihres narzisstischen Partners zunächst nicht als eine Zurücksetzung, oder Respeklosigkeit, sondern verspürt sogar eine große Genugtuung, dem anderen zu Diensten zu sein und ihm dadurch Freude zu bereiten.
Sie will es dem Narzissten in jeder Hinsicht recht machen und ärgert sich oder macht sich selbst Vorwürfe, wenn ihr das nicht gelingt. Sie opfert sich auf und lässt sich dadurch emotional missbrauchen. Genauer: Das Muster der Kindheit wird bedient, das Selbstbild genährt, die Glaubenssätze bestätigt. Die Co- Narzisstin ist „geboren“.
Wer oder was hilft die narzisstische Kollusion zu beenden?
Wirklich helfen können nur Menschen, die selbst keine Hilfe (mehr) benötigen. Das ist wie im Flugzeug: Bei den Sicherheitseinweisungen erklärt die Stewardess jedes Mal ausdrücklich, dass im Notfall jeder Mensch zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen soll. Erst dann kann er bedürftigen Mitmenschen helfen.
Das gilt für alle Lebensbereiche. Jemand anderem „helfen“, obwohl einem dabei selbst die Puste ausgeht, führt nur dazu, dass jeder Schaden erleidet. Die Co-Narzisstin erwartet für ihre Hilfe Dankbarkeit. Doch ihr Partner denkt, dass sie das aus purer Liebe tut und er sich deshalb nicht bedanken muss. Er bekommt meist nicht einmal mit, dass sie sich für ihn aufopfert. Das was sie tut, tut sie freiwillig.
Narzisstische Kollusionen sind märchenhafte Illusionen
Die Idealisierung der Partnerin innerhalb einer Beziehung geht häufig auf dem Verhältnis des offenen Narzissten zur eigenen Mutter zurück. Der männliche offene Part wurde entweder erhöht und hält sich für einen zweiten Jesus oder aber ebenso entwertet und bestraft was die Erfahrng beinhaltet, er bekomme nur unter bestimmten Voraussetzungen die Liebe und Anerkennung seiner Mutter. Und zwar genau dann, wenn er ihre Bedürfnisse erfüllt. Dadurch unterdrückt er seine eigenen Gefühle.
Ihm wird der Eindruck vermittelt, dass sich echte Gefühle wie Trauer oder Wut nicht lohnen oder dass die eigene Verletzlichkeit nicht gern gesehen wird. Als Kind hat er der Mutter dazu gedient, ihre narzisstischen Anteile zu füttern. So hat er die benötigte Aufmerksamkeit bekommen. Insgeheim hoffte er aber auch gerettet zu werden oder Anerkennung zu bekommen ohne dafür was leisten zu müssen.
Den anderen am Anfang zu idealisieren ist ein Schutz
Um das Bild der Liebe der Mutter zu schützen, idealisiert sie der Narzisst, lässt keine negativen Gefühle ihr gegenüber zu und verleugnet ihre Fehler. Er bekommt die Liebe seiner Mutter nur dann, wenn er ihren Erwartungen gerecht wird. Auf seine Bedürfnisse nimmt er keinerlei Rücksicht.
Genau dieses Abhängigkeitsverhalten überträgt sich auf die Partnerin oder Co-Narzisstin. Der Narzisst tut am Anfang alles, um die Liebe seiner Partnerin zu erhalten. Er umgarnt sie mit Charme. Die Partnerin genießt die Aufmerksamkeit und Bestätigung ihres Partners in vollen Zügen.
In einer narzisstischen Kollusion mischen sich beide ins Leben des anderen ein
Deshalb erleben die Partnerinnen von Menschen mit stark entwickelten narzisstischen Persönlichkeitsanteilen meist ein Wechselbad der Gefühle. Auf Anziehung folgt unmittelbare Abstoßung und umgekehrt. Eine narzisstische Kollusion eben. Erobernde Werbung oder kalte Zurückweisung werden dadurch gesteuert, wo die ersehnte Bewunderung gerade am „sättigendsten“ erscheint. Vom Partner oder in der „freien Wildbahn“.
Ist der narzisstische Partner zu lange auf Bestätigungsentzug, mutiert er schnell zu einem Ausbund schlechter Laune und heftiger Kritik. Die Partnerin ist auf einmal emotional entbehrlich, weil sie ungewollt viele Persönlichkeitsmerkmale der narzisstischen Kindesmutter zeigt. Er fühlt sich getriggert. Ihre Forderungen empfindet er als übergriffig.
Gleichzeitig werden ihre eigenen narzisstischen Anteile gefüttert. Sie hat sich an die Bestätigung und Anerkennung gewöhnt, auch wenn diese negativ ist. Bestätigung ist eben Bestätigung. Und bestätigt werden können immer nur bereits bestehende Glaubenssätze.
Narzisst und Co-Narzisstin sind gleichermaßen für ihre Beziehung verantwortlich
Es kann nun sein, dass der Narzisst die von Abhängigkeit getriebene, teils demütige Haltung seines kritiklosen Bewunderers als einengend, unwürdig oder gar verachtenswert empfindet. Es kann auch sein, dass er einen gesellschaftlich „höherwertigen“ Bewunderer findet, der die Brüchigkeit seines Charme-Repertoires noch nicht durchschaut. Oder aber es reift bei der Co-Narzisstin irgendwann der Impuls heran, selbstständiger zu werden.
Dann beginnt sie, sich gegen die als demütigend erlebte Selbstherrlichkeit des offen narzisstischen Partners zu wehren und begehrt gegen seine kalte Rücksichtslosigkeit auf. Im Zuge der gegenseitigen Schuldzuweisungen bleibt den Betroffenen der entscheidende Erkenntnisschritt in aller Regel verwehrt: Es ist erforderlich, den aktuellen Konflikt mit den anfänglichen Bedürftigkeiten in Bezug zu setzen, die überhaupt erst beziehungsstiftend waren.
Nur so kann eine narzisstische Kollusion entschlüsselt werden und der Narzissmus in der Partnerschaft geheilt werden, sofern man bereit ist diesen Beziehungsauftrag anzunehmen.
© Leonard Anders