Liebe Mausi,
Weißt du wie sehr ich unsere Beziehungsgespräche liebe? Sie geben mir hin und wieder das Gefühl, dass es nicht um uns geht. Du analysierst die Männer, denen du begegnest und die du anziehst und ordnest sie so herrlich ein und ich erzähle dir von meinen Frauengeschichten.
Aktuell bin ich ja wieder in festen Händen und du bist frisch verliebt. Ich hab dir von meiner Beziehung allerlei Zeugs erzählt und dann hast du folgenden Satz verlauten lassen, der mich hellhörig werden ließ.
„Gibt es auch etwas Positives an ihr? Bislang hast du nur die schlechten Seiten erwähnt. Verliebt klingt anders“
Liebe Mausi, du hast vollkommen Recht. Ich bin sehr negativ gewesen, nur hast du einen entscheidenden Punkt vergessen. Ich bin immer noch mit ihr zusammen. Ich laufe nicht vor meinen Schutzmechanismen weg. Und auch die unerfüllbaren Ansprüche die ich habe, schrecken mich (noch) nicht ab.
Meine Freundin zeigt Muster. Und diese Muster triggern mich. Früher bin ich weggelaufen, wenn es brenzlig wurde. Ich habe einfach den Kontakt abgebrochen und die Frau ausgetauscht, ganz so wie ein Bilderbuchnarzisst. Heute jedoch stelle ich mich meinen Triggern. Meine Freundin ist wie sie ist und ich bin es satt, ihre Muster zu bewerten oder in Kategorien wie co- abhängig, dependent oder narzisstisch einzuordnen. Diese ganzen Zuschreibungen sind das störende Detail – so als ob diese Anteile einen ganzen Menschen ausmachen.
Im Internet wird vor Menschen mit solchen Wesensmerkmalen gewarnt. Es ist ein Lifestyle geworden Menschen aufgrund von einigen wenigen Verhaltensmustern als „beziehungsunfähig“, „Narzisst“, „Borderliner“, oder „bipolar“ abzustempeln. Wenn man dieses Phänomen der ständigen Pathologisierung (Ferndiagnosestellung) auf die ganze Gesellschaft bezieht, könnte man meinen, wir würden alle im offenen Maßregelvollzug leben mit immer wechselnden Rollen.
Mal bin ich das Opfer, das über seine Beziehung jammert und die Schuld generell beim Gegenüber sucht, mal wäre ich gleichermaßen Täter, der sich keinerlei Schuld bewusst ist und über den gejammert wird und mal wäre ich Außenstehender Aufseher, der über andere urteilt. Jedoch sehe ich mich selbst tatsächlich eher als Mensch, also als Schöpfer, als Zuhörer für die Opfer, Täter und Aufseher.
Und wenn ich diesen ganzen Menschen zuhöre, was ich wie du weißt beruflich mache, begegne ich nicht gerade selten mir selbst oder einem meiner Schutzmechanismen, wenn ich nicht aufpasse und mich abgrenze. Jedoch und das erscheint mir nun wichtig festzuhalten, besteht ein Mensch nicht nur aus Mustern, die mich triggern. Und diese Trigger machen vielleicht 10% der Person aus. Dazu gibt es sicherlich noch 30% unbewusste Masse, 10% blinde Flecken, aber mindestens 50 % Anteile, die gut sind und das dann ohne Einschränkung zu 100%. So auch meine Freundin.
Kurzum: Ich möchte meine Freundin gern als ganzen Menschen betrachten. Ohne die Zuschreibungen von Außen würde ich sogar sagen: „Es läuft ganz gut!“
Anders meine liebe Mausi, nehme ich das bei dir wahr. Du brauchst schon vorher Gewissheit. Wenn jemand im Vorfeld deine Ansprüche nicht erfüllt oder gar deine Schutzmechanismen triggert, z.B. wenn er nicht so schnell zurück schreibt wie du oder wenn er sich nicht soviel mit seiner Persönlichkeit beschäftigt, wie du mit deiner, dann ist er schon unten durch. Am liebsten wäre dir jemand, der genauso viel analysiert wie du. Zudem muss er ein bestimmtes Aussehen mitbringen, sonst fällt er durch dein Raster.
Du sagtest mal, „Die Richtigen“ seien hässlich und die, in die du dich verliebst, wären narzisstisch akzentuiert oder persönlichkeitsgestört.
Wenn du jedoch so an die Sache ran gehst, liebe Mausi, wirst du auch keine anderen Erfahrungen machen wie beschrieben. Du wirst immer wieder die selbst erfüllende Prophezeiung erleben. Du wirst dich immer wieder an dich störenden Details anstoßen. Mal ist er zu dick, mal zu hübsch, mal zu wenig wie du.
Außerdem was sagt diese Herangehensweise über dich aus? Warum interessierst du dich eigentlich so sehr für Typen, die dir scheinbar nicht gut tun?
Hast du dich schonmal gefragt, was es mit dir macht, wenn du ständig deine potentiellen Partner nach toxischen Mustern abcheckst, bevor du dir die Chance gibst, ihn richtig kennen zu lernen? Du weißt ja selbst, dass du mit jeder weiteren Verletzung weitere Schutzmechanismen entwickelst – d.h. deine Liste der unerfüllbaren Ansprüche wächst und wächst.
Wovor hast du Angst liebe Mausi?
Ich freue mich über deine Antwort
Liebe Grüße, dein Klausi